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Ein Fall für die Digital-Detektive. Auf der Suche nach dem geheimen Prozess.

Aktualisiert: 4. Okt. 2020

Der Fall klingt trivial! Ein seit Jahren in Papierform betriebener Lieferantenauswahl-Prozess soll "schnell mal" digitalisiert werden, es gibt sogar eine Prozessbeschreibung!


Soweit so gut. Nach einer eingehenden Zeugenbefragung stellen sich jedoch immer mehr Zweifel am beschriebenen Tathergang heraus. Bei genauer Betrachtung beginnen sich Aussagen zu widersprechen, es entbricht ein regelrechter Streit zwischen den Betroffenen.


Diese Schilderung begegnet einem Prozessingenieur im Rahmen eines Digitalisierungsprojektes zwangsläufig immer dann, wenn ein Informationssystem daran scheitert, menschliche Kompensationsstrategien zu kopieren. Es zeigt sich insbesondere im Bereich der organisatorischen Schnittstellen, dass eine fehlende Exaktheit der Arbeitstätigkeiten vorliegt und somit die Abbildung des Prozesses meist damit beginnt, den Selbigen zunächst in ausreichender Detailliertheit zu beschreiben - zu ermitteln.


Ein großer Fehler in der Fallaufklärung ist des Weiteren, sich zu früh auf einen Hauptverdächtigen festzulegen. Hier gilt die Prämisse: "Es wird in alle Richtungen ermittelt!" Die Digitalisierung von vorhandenen - teil-digitalisierten - Prozessen, muss deshalb ein Redesign einschließen, um die Vorteile eines Informationssystems voll nutzen zu können. Zu oft kommen sonst typische Anwenderklagen: "Der alte Papierprozess war schneller und einfacher."


Grundlage für die Recherche sollte die Aufnahme von Fakten sein: bspw. was waren Durchsatz und Durchlaufzeit des alten Prozesses, wer war beteiligt, wer hatte Freigabegrenzen, wer war Eigner. Auf diesen Erkenntnissen sollte ein mögliches Zielbild eingegrenzt werden, welches zu greifbaren Verbesserungen führt.


Dabei ist essentiell, dass digitale Prozesse die folgenden Dinge verbinden: 1. IT-System(e), 2. Arbeitsprozess, 3. Organisation. Das digitale System sollte möglichst einen realen Arbeitsprozess und dessen Workflow abbilden. Noch allzu häufig finden sich in der Praxis multiple Handlungsanweisungen für Prozessnutzer: eine mehrtätige Anwenderschulung im System, ein textuelles Begleitbuch mit Prozessdetails und unglaublich viel "Kollegen-Wissen". Durch eine Verbindung aller 3 Teile in der Digitalisierung von Prozessen lässt sich aber real ein echter Mehrwert generieren. Das System muss so zur geleiteten Arbeitsanweisungen werden! Tool=Prozess=Organisation!


Ebenso wichtig ist es, in das Prozessdesign die Themen des Data Science zu verankern und gezielt Aufnahme- und Übergabepunkte zu wesentlichen Datenelementen vorzusehen. So wird der Prozess für eine zukünftige Steuerung vorbereitet. Wesentlich ist dabei, die Datenpunkte an gezielte betriebswirtschaftliche Fragestellungen anzuknüpfen. Welches Wissen kann aus den möglichen Daten ermittelt werden und welche quantitativen Aussagen führen zu organisatorischen Mehrwerten? Leider wird diese einfache Grundregel in der Praxis oft nicht beachtet und stattdessen durch eine Sammlung effektloser KPIs ersetzt.


Meiner Meinung nach kann die Digitalisierung als Impulsgeber einer systematischen Prozessanalyse dienen, diese aber nicht ersetzen. Jeder Digital-Detektiv muss diese Regel beherzigen! Nutzen Sie die Chance im Rahmen von Digitalisierungsprojekten endlich ungelöste Fälle zu lösen.




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